Es war so viel los in dieser Woche und ich bin so voll mit Eindrücken, dass ich überhaupt nicht weiß, womit ich anfangen soll. Mir schwirrt noch ganz schön der Kopf. Viele Informationen sausen wild durcheinander in meinem Hirn herum und ich kann sie noch gar nicht richtig greifen. Manche haben sich aber schon nach und nach gesetzt und ich fange langsam an, zu verstehen, was ich in nächster Zeit genau machen werde, wie mein Alltag aussehen wird und wie ich meine Arbeit und den Bereich, für den ich in den nächsten Monaten arbeite, einzuordnen habe. Ich fange an zu begreifen, wie verschiedene Bereiche miteinander zusammenhängen und ineinander greifen, wie alles strukturiert ist und wie das Gesamtbild aussieht. Es ist alles noch sehr, sehr viel und sehr neu, aber in meinem Kopf ordnet sich alles Stück für Stück und setzt sich zusammen.
Von Montag bis Mittwoch hatten wir noch ein paar Einführungseinheiten, in denen wir zum Beispiel eine IT-Schulung und eine Arbeitsschutzunterweisung hatten und in denen wir uns in Gruppenarbeiten damit auseinandersetzen sollten, welche Erwartungen wir eigentlich an die Ausbildung haben und welche Erwartungen an uns gerichtet werden. Das war viel Input in sehr kurzer Zeit und ich war ziemlich informationsüberflutet, aber es war größtenteils auch interessant und hilfreich. Die Gruppenarbeit war natürlich besonders anstrengend für mich, weil es mir sehr schwer fällt, mit mehreren Menschen gleichzeitig zu interagieren, vor allem wenn ich sie alle so gut wie gar nicht kenne, aber wir hatten natürlich klare Aufgabenstellungen, die abgearbeitet werden mussten, also ging es die ganze Zeit um bestimmte Inhalte. Das ist für mich bedeutend einfacher als private Gruppensituationen. Die haben nämlich keinen Zweck und kein Ziel, jedenfalls nicht so, dass es für mich irgendwie erkennbar wäre.
Am Dienstag war ich zum ersten Mal in der Berufsschule. Wir wurden kurz von der Abteilungsleitung begrüßt, bekamen die Stundenpläne und dann ging auch schon direkt der Unterricht los, zumindest ein bisschen. Wir bekamen einen groben Überblick über die Inhalte der einzelnen Halbjahre und mussten erste kleine Aufgaben lösen. Wieder in Gruppen. Ich hoffe, das bleibt nicht die ganze Zeit so. Ab und an sind Gruppenarbeiten völlig okay für mich, aber dieses ständige Gerede mit mehreren Leuten gleichzeitig, die Lautstärke, die dann im Raum herrscht und das Anpassenmüssen an den Rhythmus und das Tempo einer Gruppe passen mir einfach nicht. Ich kann dann nicht wirklich gut denken und arbeiten, auch wenn der Input von anderen natürlich hilfreich sein kann. Ich hätte ihn bloß lieber auf andere Art. Durch ein gemeinsames Unterrichtsgespräch zum Beispiel. Mal abwarten, wie sich das entwickelt. Die Lehrerinnen und Lehrer scheinen, soweit ich sie bisher kennen gelernt habe, bis auf eine Ausnahme mindestens in Ordnung zu sein und die Fächer sind wirklich interessant. Ich habe mir auch gleich alle empfohlenen Lehrbücher gekauft und bin weiterhin ausgesprochen motiviert, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen und alles, wirklich alles zu wissen, zu verstehen und zu verinnerlichen. Das einzige, was ich bisher wirklich fürchterlich fand, war der Sportunterricht. Ja, Sportunterricht! Schulsport! Den habe ich jetzt jeden zweiten Freitag 90 Minuten lang. Der Lehrer ist gemein und lässt uns keine Zeit zum Duschen, was wirklich fies ist, da wir nach dem Sport noch 90 Minuten Unterricht haben. Außerdem müssen wir uns in der Pause vor dem Unterricht umziehen. Das finde ich ziemlich frech. Wer zu spät in die Halle kommt, dem werden schlechte Kopfnoten gegeben. Ja, es gibt sogar Noten für den Sport! Ich bin ein bisschen schockiert. Sieben wunderbare Jahre lang habe ich gedacht, das Thema Schulsport für immer hinter mir zu haben und jetzt das. Na ja. Da muss ich wohl durch. Als erstes steht Seilspringen an. Für jemanden wie mich, dessen Körpergefühl ziemlich eingeschränkt ist, ist das natürlich besonders spaßig. Ich möchte nicht wissen, wie ich dabei aussehe. Auf jeden Fall fühle ich mich alles andere als leichtfüßig und grazil, wenn ich dauernd über das Seil stolpere, es mir an den Hinterkopf knalle und mir die Beine damit fessle.
Das Interessanteste und Beste war natürlich, dass ich diese Woche endlich in meine erste Praxisstelle durfte. Es ist eine wirklich spannende Abteilung und es geht um wirklich Privates, deshalb gehe ich, wie angekündigt, nicht ins Detail, was einige konkrete Dinge angeht. Inhaltlich geht es um das Thema Asyl, genauer gesagt um Asylbewerber, die leistungsberechtigt sind. Das ist nichts Geheimes, sondern im Gegenteil etwas sehr Transparentes. Jeder kann vollkommen kostenfrei das Asylbewerberleistungsgesetz online lesen und auch in verschiedenen Formaten runterladen. (Aber über Interna, einzelne Personen, Situationen und Fälle werde ich wie gesagt natürlich nichts erzählen.) Am Mittwoch durfte ich zwischen zwei Schulungen schon mal kurz in die Abteilung reinschnuppern, die Kolleginnen und Kollegen begrüßen, die alle sehr freundlich wirkten, und meinen Arbeitsplatz einrichten. Meinen eigenen, festen Schreibtisch! Und ich teile mir das Büro mit nur einer einzigen Kollegin! Nach drei Jahren Großraumbüro ohne festen Arbeitsplatz ist das absolut paradiesisch für mich und ich werde mich bestimmt jeden Tag aufs Neue darüber freuen. Meinen Praxisanleiter, der in den nächsten Monaten natürlich mein wichtigster Ansprechpartner ist, habe ich auch kennengelernt und er hat auf mich bisher auch einen guten Eindruck gemacht. Ich denke, ich werde mich dort wohl fühlen. Am Donnerstag saß ich dann gleich morgens mit in der offenen Sprechstunde. Natürlich durfte und konnte ich im Grunde noch nichts machen außer zuzuhören, zuzuschauen und Fragen zu stellen, aber es war wirklich alles andere als langweilig. Direkt an der Sprechstunde beteiligt sein werde ich wohl nicht, weil die Zeit dazu dann doch zu kurz ist und ich gar nicht schnell genug so viel lernen kann, wie ich dafür wissen und können müsste, aber es war auf jeden Fall toll, mal direkt mitzuerleben, wie alles abläuft, mit welchen Anliegen die Menschen kommen, wie ihnen weitergeholfen werden kann und auch ganz allgemein, wie es so ist, dort zu sitzen. Außerdem kann ich jetzt den Kopierer bedienen, weiß wo ich Drucker- und Kopierpapier finde und verstehe, wie das Sachbearbeiterzuweisungssystem funktioniert, wie man welche Aktennummern liest und wie die internen Postfächer sortiert werden. Ein paar kleinere Aufgaben sind in der Sprechstunde also doch für mich angefallen und ich konnte mir auch vieles abgucken, zum Beispiel, wie die Software funktioniert, über die die digitalen Fallinformationen verwaltet werden, welche Informationen man wo finden kann zum Beispiel und wie man nach was suchen kann. Danach hat mein Praxisanleiter mir noch ein paar Dinge gezeigt und erklärt, mir noch etwas zum Lesen gegeben und dann war der Tag irgendwie auch schon vorbei. Die Zeit verging wahnsinnig schnell und ich habe jede Menge Informationen aufgesaugt. Erst dachte ich, es sei alles nur irgendwie durch mein Hirn durchgerauscht, aber als ich zu Hause zur Ruhe gekommen bin, habe ich gemerkt, wie viel eigentlich hängen geblieben ist und sich gesetzt hat. Am Montag werde ich dann zum ersten Mal in die genauen Arbeitsabläufe eingewiesen und bekomme hoffentlich die eine oder andere feste Aufgabe zugeteilt. Ich freue mich weiterhin sehr und bin unheimlich froh mit dieser Ausbildung, obwohl sie im Grunde immer noch nicht so richtig angefangen hat. Ich bin mir aber sicher, dass es insgesamt sehr gut wird.
Das Thema Autismus kam bisher noch nicht zur Sprache. Ich bin mir nicht sicher, ob die Ausbildungskoordination, die ja definitiv im Bilde ist, meinem Praxisanleiter Bescheid gegeben hat. Keine Ahnung, welche Informationen ihm vorliegen. Er hat jedenfalls noch nichts gesagt und ich auch nicht. Die gemeinsame Zeit war einfach viel zu knapp und es gab auch keinen konkreten Anlass, was zu sagen. Ich bin mir noch unsicher, wie ich vorgehen soll.
Auf alle Fälle hat mich mein Autismus bisher erfolgreich daran gehindert, mich richtig in die Gruppe oder zumindest in eine Teilgruppe zu integrieren. Die Grüppchenbildung hat nämlich längst angefangen. In der Praxis haben meine Mitauszubildenden und ich zwar nichts miteinander zu tun, aber wir sehen uns eben zweimal in der Woche in der Berufsschule. Und manche finde ich tatsächlich ganz nett. Ich brauche aber ungefähr dreimal so lange, um mit jemandem warm zu werden, wie andere Menschen und in einer Gruppe bekomme ich das eigentlich gar nicht hin. Zum einen, weil ich mit diesem ganzen geballten Sozialkram total überfordert bin und zum anderen, weil es mich auf verschiedenste Art und Weise anstrengt, was dazu führt, dass ich mich recht schnell zurückziehe und sowieso weitestgehend passiv verhalte. Ich brauche einfach Pausen. Nicht, weil ich nicht mitmachen will, sondern weil ich nicht kann. Eine Weile bekomme ich es immer ganz gut hin, weitestgehend normales Verhalten zu imitieren, ein bisschen über dies und das zu reden (was zugegebenermaßen momentan nicht so wahnsinnig schwierig ist, da wir alle gerade dieselben Themen haben und man sehr leicht Fragen stellen und beantworten kann wie „Und, in welcher Abteilung bist du? Was machst du da so? Wie gefällt es dir?“), aber meine Grenzen sind schnell erreicht. Mein Hirn spielt dann eben nicht mehr mit. In meinem Kopf wird alles zäh, ich kann nichts mehr sagen und meine Mimik macht auch nicht mehr das, was ich will, also werde ich still und höre höchstens noch zu, worüber die anderen reden. Die plaudern nämlich alle die ganze Zeit miteinander. Mir ist klar, dass das so nichts wird mit dem Kennenlernen und der Integration, aber ich kann es auch nicht ändern. So ähnlich war es auch, als ich am Donnerstag von einer Kollegin über den gesamten Flur der Abteilung geführt und jedem, wirklich jedem vorgestellt wurde. Klar, ich habe es geschafft, alle freundlich strahlend zu grüßen, aber das hat mich tatsächlich mehr angestrengt, als die knapp dreistündige, vollgepackte IT-Schulung davor und natürlich habe ich mir nicht einen Namen gemerkt. Das freundliche Strahlen, das Nicken, Lachen und Bedanken für die Willkommensgrüße an den richtigen Stellen und alles, was eben sonst noch bei solchen Vorstellungsrunden gemacht wird, haben meine gesamte Konzentration vereinnahmt. Das ist nicht schlimm, aber trotzdem ärgerlich. Finde ich zumindest. Zu den paar Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich direkt zu tun haben werde und die alle in einem Raum waren, als ich ihnen vorgestellt wurde, habe ich auch gleich gesagt, dass ich bestimmt noch ein paar Mal nach ihren Namen fragen muss. Ein Kollege war dann tatsächlich so lieb und hat mir einen Plan ausgedruckt, auf dem genau steht, wer in welchem unserer zusammenhängenden Büros sitzt. Jetzt kann ich immerhin die für mich erst mal wichtigsten Namen lernen.
Fürs erste fühle ich mich schon mal angekommen, auch wenn selbstverständlich alles noch total neu und fremd ist. Ich bin mir aber sicher, dass es gut ist, dort zu sein und diese Ausbildung zu machen. Und das ist ja das Wichtigste.